Aufgeklärte Astrologie

… aber es bedeutet, dass unsere heutige Erklärung der Wirklichkeit von Prinzipien getragen wird, die mit unserem rationalen Verstand nicht vereinbar sind.

Mit Einsteins Relativitätstheorien und erst recht mit der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie nach Niels Bohr und Werner Heisenberg[1] haben Prinzipien Eingang in die Physik und die Naturwissenschaften gefunden, die weit jenseits von klassischer Logik und Ratio stehen. Manches, was zu Beginn der Neuzeit im 16. Jahrhundert und später während der Aufklärung als Argument gegen die Astrologie verwendet wurde, könnte heute ebenso gut gegen wissenschaftlich anerkannte Prinzipien der Quantenmechanik eingewendet werden.

Das Anliegen der Aufklärung des 18. Jahrhunderts war es, Aberglauben und mythische Vorstellungen aus dem Weltbild der Menschen und insbesondere aus dem wissenschaftlichen Diskurs zu tilgen. Das war ein langer und tiefgreifender Prozess, aber nach rund 200 Jahren war es soweit: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts feierten die Naturwissenschaftler endlich den Sieg der Vernunft über die Wirklichkeit. Die Physiker waren überzeugt, die Gesetze des Lebens finden zu können, unsere Wirklichkeit mathematisch exakt berechnen zu können. Die Welt war „entzaubert“, die archaischen mythischen Welterklärungen schienen aus dem wissenschaftlichen Diskurs verbannt. Bis es schließlich zu Widersprüchen im scheinbar geschlossenen naturwissenschaftlichen System kam[2]. Diese Widersprüche motivierten Albert Einstein zur Entwicklung seiner Relativitätstheorien. Seitdem ist unsere Wirklichkeit wieder „offen“. Im Großen, der Kosmologie Einsteins, wie im Kleinen, der Quantentheorie in der Kopenhagener Deutung, stimmen die heute anerkannten wissenschaftlichen Theorien nicht mehr mit dem Geist der Neuzeit und damit den Prinzipien überein, mit denen eigentlich zu Beginn der Neuzeit dem Aberglauben und mythischen Vorstellungen über die Naturkräfte Einhalt geboten werden sollte. Denn es haben Prinzipien Eingang in wissenschaftliches Denken gefunden, die rational nicht erklärbar sind.

 

Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen,
sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit.

Albert Einstein

 

Über die Frage, ob die Astrologie einer wissenschaftlichen Betrachtung im Sinne der Aufklärung zugänglich ist, lässt sich natürlich streiten. Tatsache ist allerdings, dass dies seit Einsteins Relativitätstheorien und erst recht seit der Kopenhagener Deutung der Quantentheorie nach Bohr und Heisenberg auch für die Naturwissenschaft selbst und hier insbesondere für deren Königsdisziplin, die Physik, gilt. In der Quantenmechanik gibt es eben bekanntermaßen Vorgänge, die nicht erst den französischen Aufklärern, sondern schon dem Urmeister der Naturwissenschaft, Aristoteles, die Haare zu Berge stehen lassen würden. Das berühmte Axiom der Logik des Aristoteles, tertium non datur (= ein Drittes gibt es nicht), ist heute schon allein wegen der allgemein anerkannten Doppelnatur des Lichts (Welle-Teilchen-Dualismus) in der Naturwissenschaft nicht mehr gültig. Ein Drittes gibt es eben, zumindest beim Licht, doch.

Wenn auch die Astrologie vordergründig nichts mit Quantenmechanik zu tun hat (übrigens auch nicht, was ihre Wirkungsweise angeht), so lässt sich zumindest sagen, dass Astrologie viel mit dem „Dritten“ zu tun hat, das Aristoteles ja unbedingt ausgeschlossen sehen wollte. Wie die östliche Philosophie weiß, leben wir nur scheinbar in einer polaren Welt. Hinter dieser äußeren, sichtbaren Welt steht etwas viel Größeres.

 

Die Welt ist mehr als das, was der Fall ist.
Sie ist auch alles, was der Fall sein kann.

Anton Zeilinger
(österreich. Physiker)

[1] Als in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts klar geworden war, dass die subatomaren Vorgänge den Gesetzen der klassischen Physik trotzten, waren es die Physiker Niels Bohr und Werner Heisenberg, welche das erkenntnistheoretische Fundament der damaligen Physik so erweiterten, dass die neuen Daten über das unglaubliche Verhalten der subatomaren Teilchen darin Platz finden konnten. Ihre gemeinsamen Beiträge, Bohrs Idee der Komplementarität der Wirklichkeit und Heisenbergs Unbestimmtheitsrelationen, werden allgemein mit dem Begriff der „Kopenhagener Deutung der Quantentheorie“ zusammengefasst.
[2] Näheres hierzu z.B. bei Brian Greene, Das elegante Universum, Wilhelm Goldmann Verlag, München, Januar 2006, S. 17ff.